Am 27. Juli 2017 jährt sich zum 25. Mal der Todestag der früheren Schleswig-Holsteinischen Landtagspräsidentin Lianne Paulina-Mürl.
Die Sozialdemokratin lebte mit ihrer Familie in Kronshagen. 1973 wurde sie bürgerliches Mitglied im Finanzausschuss unserer Gemeinde, im Jahr darauf – mit 29 Jahren – wurde sie in die Gemeindevertretung Kronshagen gewählt, der sie bis 1982 angehörte. Von 1978 bis 1982 amtierte sie als 2. stellvertretende Bürgermeisterin; 1982 übernahm sie in der zu Ende gehenden Wahlperiode das Amt der 1. stellvertretenden Bürgervorsteherin unserer Gemeinde.

Bereits früh engagierte sich Lianne Paulina-Mürl zudem in der SPD auf Landesebene. 1978 wurde sie Mitglied im Landesvorstand der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, im Jahr darauf im SPD-Landesvorstand. 1981 wählte die Schleswig-Holsteinische SPD sie zu ihrer stellvertretenden Landesvorsitzenden. 1983 wurde sie erstmals für den zuvor von Kurt Hamer vertretenen Wahlkreis Eckernförde in den Schleswig-Holsteinischen Landtag gewählt. Im Landtagswahlkampf 1987 nominierte der damalige SPD-Spitzenkandidat Björn Engholm Lianne Paulina-Mürl als Frauenministerin in seinem Schattenkabinett.
Nachdem die SPD bei der Landtagswahl 1987 zwar stärkste Fraktion wurde, in Folge eines Patts die Regierung von Uwe Barschel aber noch nicht ablösen konnte, wählte der Schleswig-Holsteinische Landtag Lianne Paulina-Mürl zu seiner ersten Präsidentin. In dieser für das Land schwierigen Situation agierte sie mit „Festigkeit und Fingerspitzengefühl“ zugleich, wie der Journalist Erich Maletzte in einem 1992 erschienenen Nachruf in der Zeitschrift „Der Landtag“ formulierte.
Nach der vorgezogenenen Landtagswahl im Mai 1988, aus der die SPD mit absoluter Mehrheit hervorging, wurde Lianne Paulina-Mürl in ihrem Amt bestätigt. Als erste Frau an der Spitze des Landesparlaments hat sie über die Parteigrenzen hinaus die schleswig-holsteinische Landespolitik nachhaltig geprägt. Lianne Paulina-Mürl verstand sich als „politische“ Landtagspräsidentin. Nach den Verwerfungen der Barschel-Pfeiffer-Affäre nahm sie sich beherzt der Aufgabe an, das Vertrauen der Menschen in die Demokratie in Schleswig-Holstein wieder herzustellen und die verkrusteten Strukturen aufzubrechen. Sie leitete die Enquete-Kommission des 12. Schleswig-Holsteinischen Landtages zur Verfassungs- und Parlamentsreform, die ihre Handschrift trug: In der Folge tagten die Landtagsausschüsse öffentlich und es wurden erstmals Volksbegehren und Volksentscheide in der Landesverfassung verankert, die die seit 1947 geltende provisorische Landessatzung ablöste. Lianne Paulina-Mürl sah es als ihre Aufgabe an, die Begegnungen zwischen Politik und Bürgern zu fördern; sie öffnete als Hausherrin nicht nur das Kieler Landeshaus für Veranstaltungen und für Kunst und Kultur, sie sorgte auch dafür, dass der Schleswig-Holsteinische Landtag als erstes deutsches Landesparlament die so genannte „Bannmeile“ für Demonstrationen abschaffte. Bürgerinnen und Bürger können ihre Anliegen seither direkt vor den Stufen des Landeshauses an die Politik herantragen.
In der Zeit des Wandels in Osteuropa und in der DDR sprang Lianne Paulina-Mürl schon früh den oppositionellen Kräften, die auf Veränderungen drangen, öffentlich bei und knüpfte Kontakte in die DDR und später in das junge Land Mecklenburg-Vorpommern, dessen frisch gewähltem Landtagspräsidenten sie die Flaggen von Mecklenburg und Pommern überreichte, die während der deutschen Teilung „stellvertretend“ im alten Plenarsaal im Kieler Landeshaus gehangen hatten.
Und schließlich war Lianne Paulina-Mürl eine überzeugte Feministin. Sie setzte sich für die Gleichberechtigung von Frauen ein und lebte diese selbstverständlich. Sie verlangte „die Hälfe des Himmels“ – so überschrieben die Kieler Nachrichten einen Nachruf ihres langjährigen politischen Weggefährten und Mitarbeiters, des späteren Abgeordneten und Staatssekretärs Rolf Fischer, am 18.09.2002. Ihre Entscheidung, für die Kunstsammlung des Landtages Werke der Malerin Barbara Engholm, der Ehefrau des damaligen Ministerpräsidenten, anzukaufen, begründete sie mit den Worten: „Frauen definieren sich nicht über den Beruf des Mannes. Und sie ist gut.“
Schon schwer von ihrer Krankheit gezeichnet, ließ es sich Lianne Paulina-Mürl nicht nehmen, im Februar 1992 die letzte Sitzung des Schleswig-Holsteinischen Landtages in der 12. Wahlperiode noch einmal selbst zu leiten und langjährige Weggefährten zu verabschieden. Allen war klar: Es war auch ein Abschied von Lianne Paulina-Mürl aus der schleswig-holsteinischen Landespolitik. Das bei der Landtagswahl im April 1992 abermals gewonnene Direktmandat trat sie nicht mehr an; am 27. Juli 1992 starb Lianne Paulina-Mürl im Alter von nur 47 Jahren im Kreise ihrer Familie zu Hause in Kronshagen.
„Sie war ein Glücksfall für unser Land“ würdigte Ministerpräsident Björn Engholm Lianne Paulina-Mürl nach ihrem Tod.